Drei Muster, wie Nutzer sich im Web verhalten

Lena Pietsch • 15.04.2021
Lena Pietsch

Aus der Psychologie wissen wir, dass die Verhaltensabsicht den stärksten Einfluss auf das Handeln von Menschen hat. Diese Absicht entscheidet darüber, ob sich Nutzer für oder gegen unsere Produkte entscheiden. Studien zeigen, dass sich die meisten Verhaltensmuster im Web drei Kategorien zuordnen lassen.

Diese Verhaltensabsichten deiner Nutzer musst du kennen

In der Realität gibt es unzählige Verhaltensabsichten, die in noch viel mehr tatsächlichen Verhaltensweisen münden können. Das sind so viele, dass wir als UX-Professionals ewig beschäftigt wären, uns mit allen einzeln auseinanderzusetzen. Damit wir im Daily Doing nicht komplett überfordert sind, müssen wir für die Verhaltensabsichten Kategorien bilden. Am besten sollten diese so greifen, dass sich der Großteil der Absichten eindeutig zuordnen lässt. Wir sprechen in diesem Kontext besser von Nutzungsabsichten, denn wir wollen uns auf die Nutzung digitaler Produkte beziehen. Das ist konkreter, denn das Verhalten äußert sich in einer wie auch immer beschaffenen Nutzung eines digitalen Produkts.

Kurz und knapp

  • Das Verhalten der Nutzer:innen lässt sich in drei Hauptkategorien an „Nutzungsabsichten“ unterteilen: Act, Understand und Explore; sie helfen, digitale Experiences zu strukturieren.
  • Nutzer:innen können entweder klare Ziele haben (Act), versuchen, ihr Verständnis zu vertiefen (Understand), oder Inhalte ohne bestimmte Ziele erkunden (Explore).
  • Ein effektives User Experience Design richtet sich nach diesen Absichten, indem es die Nutzer:innen durch einen Prozess führt, der ihren aktuellen Bedürfnissen entspricht.

Studien identifizieren Muster im Nutzerverhalten

Bei dem Versuch, die verschiedenen Nutzungsabsichten zu kategorisieren, bin ich auf drei spannende Studien gestoßen. Und obwohl ein Teil dieser Forschungsergebnisse schon über 22 Jahre alt ist, sind die Erkenntnisse bis heute relevant. Das bestätigen wiederum aktuelle Studien. Bei näherer Betrachtung der Forschungsarbeiten konnte ich viel ungenutztes Potenzial erkennen, was uns bei der täglichen Arbeit unterstützen kann.

Die Nielsen Norman Group hat im Mai 2020 einen Artikel über »Verhaltensmuster und Benutzererwartungen« im Zusammenhang mit dem Information-Seeking Behavior veröffentlicht. Grundlage des Artikels war eine eigens durchgeführte Studie. Dabei wurde eine Xerox-PARC-Forschung aus dem Jahr 1997 wiederholt und untersucht, inwieweit sich das Verhalten bei der Informationssuche in den letzten zwei Jahrzehnten verändert hat.

Dokumente der Xerox-PARC-Studie findet man im Netz nur noch als Scan. Schief, aber hoch interessant. Besonders interessant sind die methodischen Taxonomien. Sie bezeichnen, nach welchen Mustern Nutzer vorgehen, um ihre Ziele im World Wide Web zu erreichen.

Ein Laptop steht auf einem Holztisch, daneben eine Tasse, verstreute Dokumente und ein aufgeschlagenes Notizbuch.

Taxonomie der University of Toronto (1998)

  • Explore. Allgemeine Suche nach Informationen. Die Suche wird nicht durch ein bestimmtes Ziel ausgelöst.
  • Monitor. Wiederholte Besuche auf bestimmten Websites, um Informationen zu aktualisieren. Die Suche wird nicht durch ein bestimmtes Ziel ausgelöst; es handelt sich um ein Routineverhalten.
  • Find. Suche nach einer bestimmten Tatsache/einem bestimmten Dokument/einer bestimmten Information. Die Suche wird durch ein Ziel ausgelöst.
  • Collect. Suche nach mehreren Informationen. Der Suchende ist offen für jede Antwort, er sucht nicht nach einer bestimmten Antwort. Das Verhalten des Suchenden steuert auf ein Ziel hin.

Erst 2001, vier Jahre nach Durchführung der Studie, veröffentlichten die Forscher von Xerox-PARC ihre Ergebnisse und bezogen sich dabei auf eine andere Untersuchung der University of Toronto aus dem Jahr 1998. Bei näherer Betrachtung ist mir aufgefallen, dass diese Studie zu ähnlichen Ergebnissen gekommen ist. Nur die Kategorien wurden anders bezeichnet. Die Wissenschaftler konnten vier sogenannte »Modi des Scannens« feststellen. Die Beschreibung dieser Modi ähnelt den Kategorien aus der Xerox-PARC-Studie in vielen Punkten.

Taxonomie der Xerox-PARC-Studie (1997)

  • Undirected Viewing. Die Nutzer gehen einer Tätigkeit nach, bei der kein spezifisches Ziel zu erkennen ist. Dabei sichten sie riesige Mengen verschiedener Quellen, aber können immer nur kleine Informationshäppchen erfassen. Diese Vorgehensweise dient ihnen dazu, sich einen ersten groben Überblick zu verschaffen.
  • Conditioned Viewing. Die Nutzer können bereits ein bestimmtes Interessengebiet genauer eingrenzen. Auch wenn noch kein klar nennbares Ziel vorhanden ist, wird von ihnen ein grober Rahmen vorgegeben.
  • Informal Search. Die Nutzer steigen noch tiefer in die Materie ein. Ihr Handlungsziel ist durch ein klares Thema oder Themengebiet bereits festgelegt. Sie möchten ihr Wissen festigen oder einen Vergleich anstreben, um im nächsten Schritt eine Entscheidung treffen zu können.
  • Formal Search. Die Nutzer können bereits ein klares Informations- oder Handlungsziel definieren. Sie gehen systematisch vor und sie folgen einer klaren Struktur. Zudem legen sie viel Wert auf Qualität und Genauigkeit. Die Suche nach Informationen erfolgt fokussiert – mit dem Ziel, eine Entscheidung zu treffen.

Wie schon gesagt wurde das Forschungsdesign der Xerox-PARC-Studie noch einmal aufgegriffen und unter den aktuellen Bedingungen wiederholt. Um später einen Vergleich ziehen zu können, sollte so wenig wie möglich am Studiendesign geändert werden. Die Ergebnisse der beiden Studien waren trotz der Zeitspanne von 22 Jahren sehr ähnlich. Es gab nur kleinere Unterschiede in der quantitativen Verteilung der verschiedenen Kategorien.

Verhaltensmuster im Vergleich

Um zu veranschaulichen, wie deutlich die Überschneidungen zwischen den einzelnen Studien tatsächlich sind, haben wir in der folgenden Tabelle alle Key-Facts für euch aufbereitet und die jeweils passenden Kategorien einander gegenübergestellt. Das Mapping der drei Studien zeigt deutlich die großen Überschneidungen bei den Ergebnissen. Diese haben wir als Grundlage genutzt, um drei Kategorien für unsere eigene Arbeit abzuleiten.

Gegenüberstellung der herausgestellten Verhaltensabsichten der Xerox-PARC-Studie und Nielsen Norman mit den Ergebnissen der Forschung der University of Toronto

Synthese zu drei Kategorien von Nutzungsabsichten

Wir haben drei Kategorien herausgearbeitet, die sich damit decken, was wir aus der Praxis kennen:

  • Act. Die Nutzung der Webseite wird durch ein klares Ziel geprägt. Dabei kann die Ergebniserwartung von den Nutzern in der Regel klar benannt werden. Typischerweise gehen sie fokussiert und strukturiert vor. Sie möchten im Rahmen ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten möglichst zeitsparend und ohne Umwege ans Ziel kommen. Die Nutzer erwarten ein eindeutiges Ergebnis.
  • Understand. Auch hier gibt ein übergeordnetes Ziel der Handlung. Die Nutzer können zu Beginn aber noch keine klare Ergebniserwartung benennen. Ihr Verhalten ist durch eine gründliche Vorgehensweise gekennzeichnet, die viel Zeit in Anspruch nehmen darf. Die Intention der Nutzer ist es, möglichst viele Informationen zu bekommen, sie in ihr mentales Modell zu integrieren und die Erkenntnisse mit anderen Informationen zu vergleichen. Sie möchten etwas verstehen und erwarten von der Webseite, dabei Fortschritte zu machen.
  • Explore. Die Nutzer können das Ziel hinter der Nutzung der Webseite nicht klar benennen. Charakteristisch ist der Konsum vieler verschiedener Inhalte in kurzer Zeit. Hinter diesem Verhalten stehen Ziele wie Inspiration, Unterhaltung und Ablenkung. Der Nutzer möchte etwas erleben.

Mit welchen Fragen du die Absichten deiner Nutzer einordnest

Diese drei Kategorien matchen nach unserer Erfahrung mit den meisten Anwendungsfällen aus der Praxis. Um die Unterschiede zwischen den Kategorien noch deutlich herauszuarbeiten, haben wir die Erkenntnisse der drei Studien mithilfe verschiedener Dimensionen vereinheitlicht. Mit dieser Matrix soll euch einerseits die Zuordnung eures Anwendungsfalls in eine der drei Kategorien leichter fallen. Andererseits kann euch dieser Abgleich dabei helfen, zukünftig die drei Kategorien Act, Understand und Explore in euren Arbeitsalltag zu integrieren.

Die Dimensionen, die wir dafür gewählt haben, sind:

  • Bedürfnis. Welches Bedürfnis steckt eigentlich hinter dem Verhalten?
  • Ziel. Wie klar können Nutzer das Ziel ihrer Handlung benennen?
  • Handlung. Woran orientiert sich die Handlung? Worauf wird der Fokus gelegt?
  • Zeit. Wie viel Zeit sind Nutzer bereit, für das Lösen der Aufgabe aufzuwenden?
  • Vorgehen. Folgen die Nutzer einer bestimmten Struktur?

Nicht alle einzelnen Parameter müssen exakt übereinstimmen. Aus der Gesamtheit aller Dimensionen sollte jedoch deutlich hervorgehen, ob es sich um die Nutzungsabsicht Act, Understand oder Explore handelt.

Tabelle mit den Spaltentiteln »Bedürfnis«, »Ziel«, »Handlung«, »Zeit« und »Vorgehen« und den Zeilentiteln »Act«, »Understand« und »Explore«
Dimensionen zur Einordnung der Nutzungsabsicht

Forschungsfragen für die Zukunft

Wie ihr vielleicht bemerkt habt, gab es in der Vergleichstabelle zu den drei Studien noch zwei weitere Kategorien, die wir nicht übernommen haben. Dabei handelt es sich einerseits um »Monitor«, das in der neuen Studie aus 2019 nicht mehr nachgewiesen werden konnte. Allerdings zweifeln wir stark daran, dass es diese Kategorie heute nicht mehr gibt. Gerade in der aktuellen Zeit sind wir geradezu darauf konditioniert, Informationen zu überwachen. Man denke da beispielsweise an die News-Feeds zu den aktuellen Corona-Zahlen. Oder an das Monitoring von Aktienkursen. Deshalb steht für uns außer Frage, diese Kategorie in Zukunft auch noch einmal näher zu betrachten.

Andererseits trat in der neuen Studie erstmals »Notified« als weitere Kategorie auf. Das stellt nach unseren Aspekten jedoch keine klassische Nutzungsabsicht dar. Denn im Gegensatz zu den anderen Kategorien handelt es sich hier viel mehr um einen Aktivierungsmechanismus, der uns zwar zum Handeln auffordert, allerdings nicht als Absicht gesehen werden kann. Diese Intention entsteht eher aus dem Kontext dieser Aktivierung. Beispielsweise werden wir über eine Push-Notification darauf hingewiesen, dass es neue Tickets für das eigentlich ausverkaufte Konzert gibt. Klicken wir auf diese Push-Notification um ein Ticket zu kaufen, haben wir in diesem Fall viel eher die Nutzungsabsicht Act oder Understand. Das Anzeigen oder gar der Klick auf die Push-Notification sind deutlich von der Definition einer Nutzungsabsicht abzugrenzen.

Metal-framed glasses with round lenses are flipped upside down on an open notebook with black handwritten notes that span the entire double-page spread.

Trotzdem kann unser Set übergreifender Kategorien von Nutzungsabsichten nicht als vollständig gelten. Dagegen spricht bereits die Tatsache, dass alle drei Studien ihren Forschungsfokus auf das »Information-Seeking Behavior« gelegt haben. Da es aber noch weitere »Information Behavior« gibt wie beispielsweise die Verwendung von Tools, der Austausch von Informationen und andere, müssen wir davon ausgehen, dass unser Set an Kategorien noch Lücken aufweist. Trotzdem sind wir bisher in der Praxis mit diesen drei Kategorien ziemlich gut gefahren und wollen sie euch deshalb ans Herz legen.

Fällt euch spontan eine Anwendung ein, die sich keiner der drei Kategorien von Nutzungsabsichten zuordnen lässt?

Die Kategorie gibt dir den Rahmen für deine Informations­architektur

Mit diesen drei Kategorien geben wir dir eine Möglichkeit, die Absichten und Ziele deiner Nutzer einzuordnen. Indem wir das Ganze abstrahieren und clustern, ist es im nächsten Schritt möglich, auch konkrete Handlungsempfehlungen für jede dieser Kategorien auszusprechen. Dazu verraten wir dir, wie genau du auf diese verschiedenen Nutzungsabsichten und deren Dimensionen mit deiner Informations­architektur einzahlen kannst.

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