Vielen UX-Professionals fehlen Methoden, um Webseiten so zu strukturieren, dass sie dem Nutzerverhalten entsprechen. Dieser Guide zeigt dir, wie du damit startest.
Vielen UX-Professionals fehlen Methoden, um Webseiten so zu strukturieren, dass sie dem Nutzerverhalten entsprechen. Dieser Guide zeigt dir, wie du damit startest.
Die Informationsarchitektur ist ein neuralgischer Punkt, wenn wir digitale Services und Produkte entwickeln. Jeder Designer weiß darum, viele haben damit nahezu täglich zu tun, aber nicht alle fühlen sich sicher darin: Webseiten strukturieren. Wir haben uns intensiv damit beschäftigt, wie wir die Architektur von Webseiten auf das Verhalten der Nutzer abstimmen können. Dafür haben wir untersucht, welche Faktoren auf das Verhalten einwirken. Und wie Menschen digitale Produkte für ihre Zwecke nutzen. Auf Grundlage der Forschung geben wir konkrete Hilfestellungen, wie du die Intentionen der Menschen analysieren und sie passend adressieren kannst. In diesem Guide legen wir den Fokus darauf, wie wir einzelne Webseiten strukturieren können. Die Erkenntnisse lassen sich jedoch auch auf die Gestaltung anderer Touchpoints übertragen.
Je besser die Informationsarchitektur, umso leichter fällt die Orientierung. Und je sicherer die Interaktion, desto schneller die Bewegung. Wir wollen Webseiten so strukturieren, dass Menschen sie intuitiv bedienen können. Das gelingt, wenn unser Interface dem mentalen Modell der Nutzer entspricht. Die Inhalte sind dann so gegliedert, dass sie schnell und leicht auffindbar sind. Damit schaffen wir eine Art virtuellen Informationsraum. In diesem orientieren und bewegen sich Nutzer während der Interaktion mit unserer Seite. Je besser, schneller und angenehmer sie dies tun können, desto größer sind die Erfolgsaussichten. Für unsere Nutzer. Und für das Business hinter unserer Webseite.
Die Informationsarchitektur spielt eine fundamentale Rolle bei der nutzerzentrierten Gestaltung. In einer InVision-Umfrage platzieren Produktdesigner »Informationsarchitektur« auf Rang vier der wichtigsten Kenntnisse für ihren Job. Als noch wichtiger bewerten UX-Professionals diese Kompetenz in einer Nielsen-Norman-Studie, dort belegt sie Platz drei.
Wir haben UX-Professionals befragt, wie sie mit dem Thema »Webseiten strukturieren« bei ihrer täglichen Arbeit umgehen. Die Ergebnisse sind alarmierend: Im Grunde gibt es keinen Standard; keine Methode wird von einer Mehrheit der Designer genutzt. Viele fühlen sich unsicher. Dabei ist die Informationsarchitektur die Basis, auf der unsere Kommunikation fußt. Sie ist die Architektur unserer Seite – im wahrsten Sinne des Wortes. Umso gravierender, dass vielen Designern das Methodenset und die Sicherheit fehlen, eben dieses Fundament zu gießen.
In den nachfolgenden Kapiteln dieses Guide teilen wir unsere Kenntnisse, Modelle und Methoden mit dir. Wir zeigen dir, wie du eine Informationsarchitektur entwickeln kannst, die auf verhaltenspsychologischen Erkenntnissen fußt. Auf diese Weise kannst du deine Webseiten so strukturieren, dass sie den Absichten der Nutzer entsprechen.
Zu Beginn stehen die ersten Anforderungen schon fest: die geschäftlichen Ziele. Wenn wir jedoch diese als Grundlage für unsere Informationsarchitektur nutzen, adressieren wir nicht das Erlebnis unserer Nutzer.
Damit meinen wir nicht, dass die geschäftlichen Interessen keinen Einfluss auf die endgültige Webseite haben sollten. Aber diese Anforderungen können wir nicht erfüllen wenn die grundlegende Struktur der Informationen nicht die Absicht der Nutzer adressiert. Haben wir unsere Nutzer erstmal bewegt, mit unserem Produkt zu interagieren, können wir die geschäftlichen Anforderungen in das Produkterlebnis einflechten.
Wie strukturieren wir? Welche Orientierung geben wir unseren Nutzern? All das wollen wir darauf ausrichten, wie sich Menschen bei der Nutzung verhalten werden. Wir können ihr Handeln nicht vorhersagen. Aber wir können die wesentlichen Faktoren analysieren, die auf das Verhalten einwirken.
Die Verhaltenspsychologie bietet Modelle für das Handeln von Menschen. Diese geben uns Hinweise, welche Faktoren wir untersuchen müssen. Daniel Montaño und Danuta Kasprzyk haben 2008 das Integrated Behavior Model vorgestellt, das sich in der Verhaltenspsychologie etabliert hat. Wir entschlüsseln dieses für Produktdesigner und stellen hier die wesentlichen Einflussfaktoren vor.
Der erste und wichtigste Faktor ist die Absicht. Es gibt kein Verhalten ohne Absicht – egal, ob sie der handelnden Person bewusst ist oder nicht. Mehr als alles andere beeinflusst sie das menschliche Handeln. Die Absicht entsteht aus der Motivation heraus ein Ziel zu erreichen.
Wenn Menschen eine Webseite nutzen, folgen sie auch einer Verhaltensabsicht. Auf deren Entstehen haben drei kognitive Faktoren Einfluss:
Im Extremfall können diese Aspekte verhindern, dass eine Verhaltensabsicht entsteht. Schlechte Erfahrungen können zu abwehrenden Einstellungen führen. Nutzer fühlen sich belastet, weil sie Widersprüche zu Normen empfinden. Oder sie sind in Sorge, ob sie die Kontrolle über den Prozess behalten. Überwiegt eines oder mehrere dieser Gefühle, kommt es gar nicht erst zur Nutzung einer Webseite. Daran können wir nichts ändern. Diese Prozesse laufen schließlich vor einer Nutzung ab. Aber wir sollten darauf achten, diese Gefühle nicht negativ zu verstärken. Denn auch während der Interaktion mit unserer Webseite können diese das Erlebnis beeinträchtigen. Oder zu einem Abbruch führen.
Der Kontext, in dem Nutzer unsere Webseite nutzen, wirkt maßgeblich auf ihr Verhalten ein. No news for product people. Banking im dicht gepackten Zug zur Rushhour finden Viele nicht so cool. Hier trennt sich oftmals die Spreu vom Weizen. Ein Transfer mit Paypal stellt heute auch in so einer Situation kein Problem mehr dar. Gelingt es uns, die Umstände möglichst exakt zu berücksichtigen, hilft unsere Seite den Menschen nicht nur, ihr Ziel zu erreichen. Sie werden die Nutzung auch als angenehm und intuitiv erleben.
Das Modell von Montaño und Kasprzyk unterscheidet hier vier Faktoren, mit deren Hilfe wir ein differenzierteres Bild generieren können. Und auf die wir eingehen können, wenn wir Webseiten strukturieren.
Wenn Menschen digitale Produkte und Services für ihre Ziele in Anspruch nehmen, zeigen sie ein bestimmtes »Information-Seeking Behavior«. Dieser Fachbegriff meint, dass sie nach einem bestimmten Muster Informationen suchen, nutzen oder teilen. Dieses hängt letztlich von ihren Nutzungsabsichten ab.
Diese regelmäßig zu beobachtenden Interaktionsmuster bilden die Grundlage für unsere Informationsarchitektur. Wir können nicht für jeden Nutzer eine eigene Webseite bauen. Daher macht es Sinn, die konkreten Nutzungsabsichten zu typischen Kategorien zusammenzufassen. Verschiedene Studien kommen bei der Untersuchung des »Information-Seeking Behavior« zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Je nachdem, welcher Kategorie sich die Nutzungsabsichten zuordnen lassen, kannst du entsprechend Webseiten strukturieren.
Die individuellen Absichten der Nutzer lassen sich meist einer dieser Kategorien zuordnen. Grundlage für unsere Einteilung sind Studien über Information-Seeking Behavior. Diese stammen von Xerox PARC (1997) und der Toronto University (1998). Im Jahr 2019 gab es eine Neuauflage der Xerox-PARC-Studie durch die Nielsen-Norman-Group. Diese bestätigt, dass die Kategorien für den Bereich Information-Seeking bis heute gültig sind. Deshalb können wir auf die Ergebnisse dieser Studien vertrauen.
Wenn von einer Webseite oder Website die Rede ist, meinen wir meist den kompletten Webauftritt einer Organisation oder Person. Hier müssen wir jedoch genauer unterscheiden. Eine Webpräsenz und der englische Ausdruck Website bezeichnen den gesamten Webauftritt. Das heißt: deine Homepage und alle Unterseiten. Eine Webseite (im Englischen Webpage) heißt hingegen die einzelne Seite.
Wenn wir eine Nutzungsabsicht adressieren, tun wir das mithilfe einer einzelnen Webseite. Das bedeutet, dass eine Webpräsenz mitunter mehrere Nutzungsabsichten adressieren kann. Eine Webseite zumeist nur eine.
Online einzukaufen gehört für uns zum Alltag. Gelegentlich wollen wir die erhaltene Ware retournieren. Beides tun wir oftmals über dieselbe Webpräsenz. Und dennoch könnte die Nutzungsabsicht nicht unterschiedlicher sein. Wo wir beim Einkaufen noch die unterschiedlichen Angebote miteinander verglichen haben, kann es uns beim Retournieren nicht schnell genug gehen. Ein lästiges Übel, das wir so schnell wie möglich erledigt wissen wollen. Beide Aufgaben erledigen wir womöglich über dieselbe Webpräsenz. Jedoch kommen dafür unterschiedliche Webseiten zum Einsatz. Beim Stöbern vor dem Kauf folgen wir noch der Absicht Understand, wohingegen wir beim Retournieren der Absicht Act folgen.
Um das Nutzererlebnis zu formen, gilt es an jedem einzelnen Touchpoint erneut zu hinterfragen: welcher Absicht folgen unsere Nutzer und in welchem Kontext sind sie unterwegs? Dabei spielt es keine Rolle, ob wir uns auf einer Webseite, innerhalb einer App oder gar in einer E-Mail befinden. Die Fragen nach Absicht und Kontext der Nutzung helfen uns, wenn wir einzelne Webseiten strukturieren.
Bevor wir beginnen, unsere Informationsarchitektur auf eine Kategorie hin auszurichten, müssen wir uns Klarheit über das Geschäftsmodell verschaffen. In manchen Fällen gibt es auch den Rahmen für den einzelnen Touchpoint vor, den wir strukturieren wollen. Konkret heißt das, das Geschäftsmodell bestimmt, welche Nutzungsabsicht wir bedienen können. Der Grund dafür kann sein, dass das Business eine andere Nutzungsabsicht nicht profitabel abdecken kann. Wenn die Absicht unserer Nutzer eine andere ist, ist es egal, wie gut wir unsere Aufgabe machen. Es würde nicht zu einem Match kommen zwischen Nutzern und unserer Webseite. Dann liegt ein Zielkonflikt zwischen Angebot und Nachfrage vor. Das können wir nicht auf Ebene des Designs auflösen.
Nehmen wir an, ich will mir einen Film angucken, um vom Alltag abzuschalten. Dafür finde ich viele Angebote. Schaue ich einen Film auf Netflix, genieße ich ein vollkommen anderes Erlebnis als auf Youtube. Netflix forciert vor allem die Nutzungsabsicht Act, YouTube hingegen die Absicht Explore.
Logisch, denn das Geschäftsmodell ist ein anderes: Netflix setzt auf ein Abo-Modell, wohingegen YouTube in erster Linie Einnahmen über Werbung generiert. Deshalb regt YouTube offensiv den Konsum von immer weiteren Inhalten aus einer schier unendlichen Masse an. Je länger Nutzer auf der Plattform bleiben, desto mehr Umsatz macht YouTube.
Nun will ich mich jedoch mit der nächsten Folge meiner aktuellen Serie »Aufräumen mit Mari Kondo« entspannen. Netflix holt mich direkt nach dem Öffnen ab und bietet mir genau das immersive Erlebnis, das ich suche. Auch wenn ich auf YouTube das Gleiche sehen könnte: Werbeunterbrechungen nerven mich. Ich will auch keine Vorschläge für später sehen. Egal, wie gut die Seite von YouTube für Explore-Nutzer optimiert ist: weil ich ein Act-Nutzer bin, kommen wir nicht zusammen.
Mach dir bewusst, welches Geschäftsmodell der Webpräsenz zugrunde liegt. Und kläre mit Stakeholdern, inwiefern dieses auch für den Touchpoint gilt, den du bearbeiten sollst. Falls ein Zielkonflikt vorliegt, musst du diesen erst klären.
Indem du die Aufmerksamkeit der Nutzer auf das Wesentliche fokussierst und ihren kognitiven Aufwand minimierst. Typisch sind etwa Prozesse. Die Checkout-Seite von Paypal demonstriert eindrucksvoll einen radikalen Fokus auf die Nutzungsabsicht Act – und berücksichtigt dabei verschiedene Nutzungskontexte. Der Zahlungsanbieter muss den Bezahlprozess nahtlos in die Umgebung fremder Webseiten einfügen und dabei Vertrauen aufbauen. Dabei darf er die ursprüngliche Kaufabwicklung unter keinen Umständen gefährden. Paypal reduziert dazu den Informations- und Funktionsgrad auf das Wesentliche. Kein Interaktionselement auf der Seite bietet einen Ausweg aus dem Conversion-Funnel. Die entscheidende Metrik für Paypals Erfolg ist die Conversion Rate. Daran richten sich alle Elemente aus. Schließlich kommt das auch den Nutzern entgegen. Ihr Interesse gilt dem Produkt, nicht der Bezahlung. Je schneller sie diese abwickeln können, umso besser.
Wir finden ähnliche Muster, wenn wir gezielt Funktionen ausführen, Systemdialoge durchlaufen oder dezidiert nach Informations-Häppchen suchen. Absichten können sich im Sekundentakt ändern. Unser Interface muss auf einen solchen Wechsel reagieren können. Folgten wir gerade noch der Abicht, Inhalte zu durchstöbern (Explore), entscheiden wir uns in einem Augenblick, eine Information zu finden. Wir suchen nach dem Suchschlitz und hacken in die Tastatur, was wir zu finden hoffen. Myspace kommt einem solchen Wechsel der Absicht nach, indem es das User Interface komplett auf den Kopf stellt. Was so eben noch von Interesse war, blendet die Plattform jetzt aus. Sie stellt die Sucheingabe groß dar und präsentiert das Ergebnis prominent. Alles zu Gunsten der Absicht Act.
Indem du ein tiefgreifendes Verständnis aufbaust und auf diese Weise Hürden aus dem Weg räumst. Dafür setzen wir Anreize und geben den Nutzern Hilfestellung, ihre Aufgabe zu erledigen. Dieses Muster können wir auf Produktseiten beobachten. Nike demonstriert mit seiner LeBron-Serie, wie sie die Nutzungsabsicht Understand adressieren. LeBron James ist Markenbotschafter von Nike und einer der besten Basketballspieler seiner Zeit. Nike nutzt diese Geschichte, um von der Basketball-Kollektion zu überzeugen und sich als Vorreiter im Basketballsport zu positionieren. Aufwändig produzierte Filme bieten Einblicke in die Entwicklung der Schuhe und transformieren eine herkömmliche Sportbekleidung in Hightech-Gadgets. Die Kaufentscheidung wird dramatisch aufgeladen, sie wirkt wie eine Entscheidung über Sieg oder Niederlage. Nike erhöht damit die Wahrscheinlichkeit zum Kaufabschluss.
Wir sehen dieses Muster auf klassischen Landingpages, die in Themen einführen. Es findet sich auch auf Wikipedia-Seiten, bei denen wir eine tiefere Auseinandersetzung mit den Inhalten erwarten. Gemein haben diese Webseiten, dass wir Inhalte gut strukturieren müssen. Die Nutzer bewegen sich entsprechend ihrer jeweiligen Kenntnisse und Erfahrungen auch auf unterschiedliche Weise über die Seite. Die Dramaturgie der einzelnen Seite rückt daher in den Vordergrund. Anders als in einem Film wird diese jedoch nicht linear konsumiert. Wir müssen Nutzern also mitunter ermöglichen, unseren Content zu scannen. Sie suchen nach den für sie entscheidenden Ankern, welche ihnen den gewünschten Fortschritt versprechen.
Indem du den Nutzern Inspiration bietest. Betrachten wir die Wiedergabe eines Videos auf YouTube als Beispiel. Sie demonstriert einen radikalen Fokus auf die Nutzungsabsicht Explore. Je länger Nutzer Videos konsumieren, desto höher sind die Werbeeinnahmen. Entgegen Paypal profitiert Youtube davon, wenn Nutzer länger verweilen. YouTube geht dazu sehr weit. Die Seite lässt konkurrierende Inhalte gegeneinander antreten. So suchen Nutzer noch während des Konsums eines Videos nach dem nächsten. Damit steigt der kognitive Aufwand enorm. Die gezielte Auseinandersetzung mit einem Inhalt rückt in den Hintergrund.
Ähnliche Muster finden wir auf Instagram oder Pinterest. Ein bunter Blumenstrauß an Inhalten reicht jedoch nicht aus. Damit Nutzer am Browsen bleiben, muss das Angebot einem Interessengebiet entsprechen und maximale Relevanz erzeugen. Von »Kunden, die dieses Produkt gekauft haben, kauften auch…« bis hin zu den Algorithmen von TikTok, YouTube oder Instagram. Auch Netflix bemüht sich, die Relevanz auf unkonventionelle Weise zu erhöhen: Mit Hilfe individualisierter Cover versucht der Streaming-Anbieter auf die zuvor ermittelten Vorlieben der Nutzer zu reagieren. Netflix hebt Gesichter von deinen liebsten Schauspielern hervor und wählt die Szenerie entsprechend deines Geschmacks. Explosionen für Action Fans, Händchenhalten für Romantiker.
In diesem Guide geben wir dir einige Werkzeuge an die Hand, mit denen du Webseiten strukturieren kannst. Nun weißt du, wie du dein Interface einer Nutzungskategorie zuordnest und deine Informationsstruktur danach ausrichtest. Du erkennst, welche der potenziellen Inhalte relevant sind und weißt, wie du sie auf der Seite darstellen musst. Die Grundlagen für den Guide haben wir nicht alle selbst geschaffen. Lies hier, welche Quellen wir genutzt haben und welche Forschung wir selbst betrieben haben.