Die Wahrheit über Klicks und Conversion

Robert Goesch • 08.05.2024
Robert Goesch

Wie viele Klicks du zum Erledigen einer Aufgabe brauchst, hängt von den Anforderungen an Komplexität, Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit ab. In diesem Artikel zeigen wir dir, wie wir diese Metriken nutzen, um zu beurteilen, wie viele Klicks auf einer Seite angemessen sind. Durch die Betrachtung von Interaktionen unter diesem Gesichtspunkt konnten wir die Conversion rate steigern, die Bearbeitungszeit verkürzen und die Kundenzufriedenheit verbessern.

Hands with different skin colors in front of a light grey background, the fingers pointing on black buttons labeled "Next" but the finger of one hand pointing on a strawberry red button labeled "place order"
Keywords
  • 3-Click-Rule
  • UX-Myths
  • Conversion Rate
  • Interaction Strategy
  • UX/UI Design
  • Usability

2001 forderte Jefferey Zeldman in seinem Buch »Taking Your Talent to the Web«, jede Information solle auf einer Webseite innerhalb von drei Klicks verfügbar sein. Wenn man den Zustand des Webdesigns zu jener Zeit anschaut, kommt dies nicht wirklich überraschend. In Web-Jahren ist das bereits eine Ewigkeit her, und in Bezug auf das Design von Web- und Mobile-Apps haben sich die Gegebenheiten drastisch gewandelt.

Bei DUMBO führen wir häufig Gespräche mit Kunden, in denen wir jeden zusätzlichen Klick erklären müssen. Es scheint naheliegend anzunehmen, dass durch die Bereitstellung von mehr Optionen, respektive Interaktionen, die Anzahl der Ausstiegsmöglichkeiten steigt, was wiederum die Wahrscheinlichkeit einer Konversion verringert. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Ein Blick auf die Daten zeigt uns, dass die Anzahl der Klicks absolut nichts mit dem Erfolg deines Produktes zu tun hat. Wir haben festgestellt, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Interaktionen eines Users und der Conversion rate gibt. Es mag überraschen, aber es gibt keine statistischen Beweise, dass dieser weit verbreitete Glaube immer noch zutrifft, nachdem die 3-Click-Rule vor 22 Jahren zu einem Dogma wurde.

Daten beweisen, dass die 3-Click-Rule ein Mythos ist

Eine Studie von Joshua Porter stellte bereits 2003 fest: Die Anzahl der Klicks hängt nicht mit dem Erfolg der Nutzer:innen beim Auffinden der gesuchten Inhalte zusammen. Noch konnte ein Zusammenhang mit der Zufriedenheit der Nutzer:innen festgestellt werden. Um das nochmal auf den Punkt zu bringen: Ein längerer Prozess hatte weder eine höhere Abbruchrate, noch eine höhere Unzufriedenheit zur Folge. Und was wirklich interessant ist: Wir haben bei unseren eigenen Projekten ähnliche Ergebnisse erzielt.

Bei einem von uns gestalteten Prozess haben wir die Abbruchrate anhand von 150.000 Sessions untersucht. Jeder User musste dabei in sechs Schritten Fragen beantworten. Das bedeutet mindestens sechs Klicks tätigen, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. War der erste Schritt erst mal absolviert und der Prozess gestartet, betrug die Exit Rate bei jedem weiteren Schritt konstant nur einen Prozent. Das Bemerkenswerte an den Zahlen war nicht nur, dass die Bounce Rate bei jedem weiteren Klick nicht anstieg, sondern dass das Niveau so niedrig war.

Wenn es um die Gestaltung eines Checkout-Prozesses geht, konkurrieren seit Jahren verschiedene Ansätze miteinander. Das Spektrum reicht vom One-Page-Checkout über Accordions bis hin zu Varianten mit mehreren Schritten. Als wir den Buchungsprozess für eine große Airline einem kompletten Redesign unterzogen haben, ist es uns gelungen, mit mehr Schritten als zuvor eine höhere Konversion zu erreichen. Die Zahl der erstmaligen Buchungen stieg um zehn Prozent. Messdaten haben gezeigt, dass die Task Time gleichzeitig reduziert wurde. Obwohl die Kund:innen neun statt zuvor sechs Schritte durchlaufen mussten, sank die Buchungszeit im Schnitt von 6:48 Minuten auf 3:48 Minuten – mehr Klicks und dabei doppelt so schnell.

Klicks können dazu beitragen, die Komplexität zu verringern

Wann immer wir in der Vergangenheit Prozesse getestet haben, die unterschiedlich viele Schritte, aber den gleichen Inhalt hatten, kamen wir zum selben Ergebnis. Bei einer qualitativen Befragung geben die meisten Nutzer:innen an, den Prozess mit mehr Schritten als länger, aber als deutlich einfacher zu empfinden. Die Messdaten belegen aber meist das Gegenteil: Die gleichen Nutzer:innen haben die Mehr-Schritt-Variante schneller erledigt. Zusätzliche Schritte können komplexe Prozesse vereinfachen und beschleunigen. 

Das mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, aber bei genauer Betrachtung ergibt es durchaus Sinn. Mithilfe zusätzlicher Klicks vermeidet man, dass sich Menschen überfordert fühlen und in Folge dessen gestresst sind. Denn im Stress neigen sie zu Abwehrreaktionen. Das kennen wir alle von der Steuererklärung. Wir schieben sie so weit vor uns her, bis uns keine andere Wahl bleibt. Apps wie TaxFix sind erfolgreich, weil sie das komplexe Formular in verständliche Fragen herunterbrechen, die man in Sekunden beantworten kann.

Je komplexer ein Prozess, desto wichtiger ist es, ihn in einfachen Schritten herunter zu brechen. Aber wie viele Schritte werden benötigt? Wann ist der Inhalt für einen Schritt zu groß oder zu klein? Unsere eigene Daumenregel besagt, dass alle Angaben ihren Zweck erfüllen müssen, ohne dass man sie noch weiter herunterbrechen kann. Lasst uns die Theorie an einem Beispiel aus einem Checkout-Prozess erläutern. Welche Angaben machen unmissverständlich klar, was wofür zu tun ist, ohne dass man den Schritt noch weiter unterteilen könnte?

  1. Füllen Sie die Formularfelder aus, um Ihre Bestellung abzuschließen. 
  2. Geben Sie die Zahlungsdaten an, um das Produkt zu bestellen. 
  3. Wählen Sie eine Zahlungsart aus, mit der sie das Produkt bezahlen möchten. 
  4. Wählen Sie das Kreditinstitut Ihrer Kreditkarte aus.  

Die richtige Antwort ist hier ③. Die Aufforderung beschreibt eine eindeutige Aufgabe, um einen nachvollziehbar benannten Zweck zu erfüllen. Zu erwarten ist die Abfrage von Kreditkarte, Paypal, Rechnung oder Anderem. ① und ② sind weniger klar. Sie sind so groß geschnitten, dass man die genauen Angaben nur grob antizipieren kann. ④ wiederum ist zu spezifisch, der Zweck der Angabe ist unklar.

Wie kann man also feststellen, ob die Komplexität einer Aufgabe durch das Hinzufügen weiterer Schritte/Klicks reduziert werden sollte? Dabei müssen wir abwägen: Ist für unsere Anwendung der gefühlte Aufwand (»dauert länger«) oder der tatsächliche kognitive Aufwand die größere Hürde? Allgemein können wir sagen: je höher der kognitive Aufwand ausfällt, umso eher sollten wir ihm mehr Klicks widmen.

Klicks können für mehr Sicherheit sorgen

Je höher das Risiko, desto größer das Bedürfnis nach Kontrolle. Wann immer wir zum Beispiel ein Investment tätigen, das nicht alltäglich ist, suchen wir nach Sicherheit. Und Sicherheit gewinnen wir, wenn wir das Gefühl vermittelt bekommen, Herr der Lage zu sein. Dann können wir stets vorhersehen, welche Auswirkung unsere Aktion haben wird. Dieses Gefühl können wir beim UX Design mit einer hohen Kommunikationsdichte verstärken. Kapitelblätter, Etappenziele und Zusammenfassungen reduzieren zwar die Geschwindigkeit, erhöhen aber das Gefühl von Kontrolle. Mehr Klicks für mehr Sicherheit. 

Ist es immer so, dass wir die Kommunikationsdichte erhöhen müssen, je höher die Sicherheitsrisiken sind?

Wenn es nur so einfach wäre. Eine hohe Kommunikationsdichte bedeutet nämlich auch »Friction«, Reibung. In manchen Fällen wollen wir jegliche Friction reduzieren. Bei der Entwicklung einer Crypto-Börse mussten erfahrene Trader schnelle Transaktionen im Millionen-Dollar-Bereich abschließen. Bei ihrer Order zählt jede Sekunde. Jede Reibung, jeder zusätzliche Schritt kann Geld kosten, viel Geld. In dieser Situation mussten wir also auf jegliche Form von Kontrollmechanismen verzichten. Was ist also der Unterschied? Diese Nutzer:innen sind mit diesem Prozess sehr vertraut, sie wissen, was sie tun, und sie tun es den ganzen Tag lang. Der Bedarf an Kontrollmechanismen nimmt also ab, je routinierter Anwender:innen in der Situation sind. Je nach Kontext und Zielgruppe werden gut gemeinte Maßnahmen sogar als Hindernis empfunden.

Die meisten Interfaces, die im Product Design entwickelt werden, wenden sich eher an Privatanwender:innen. Oftmals sind es sogar Nutzer:innen, die mit dem System noch nicht vertraut sind oder das sie nur einmal durchlaufen. Und hierbei kann jeder einzelne Klick ein Gefühl von Kontrolle erzeugen. Dabei müssen wir stets abwägen, wie schnell das System werden kann, ohne den User abzuhängen. Braucht unsere Anwendung mehr Geschwindigkeit oder mehr Kontrolle? Je mehr Kontrolle, desto mehr Klicks.

Klicks können für eine bessere Usability sorgen

Viele Interaktionsmuster kommen aus einer Zeit, in der wir mit Maus und Tastatur unsere Anwendungen auf großen Monitoren gesteuert haben. Ein großer Fortschritt gegenüber der herkömmlichen Fernbedienung, mit der wir noch heute unseren Smart TV betätigen. Mit der Einführung des Smartphones wurden auch Gesten (Wischen, Tippen usw.) eingeführt, um auf den kleinen Bildschirmen besser navigieren zu können. 

Mobile First zwingt zum Umdenken. Den Restriktionen des Geräts und dem Kontext der Interaktion begegnen wir mit maximaler Reduktion. Wir wissen: Der Platz auf dem Screen ist sehr begrenzt, das Zeitfenster der Aufmerksamkeit sinkt und das Risiko der Ablenkung steigt. Es gilt also, die Hürden so gering wie möglich zu halten, den kognitiven Aufwand auf ein absolutes Minimum zu reduzieren und die Interaktion so effektiv wie möglich zu gestalten.

All diese Aspekte zwingen uns dazu, Aufgaben sequentiell – mit mehr Klicks – zu gestalten und auf diese Weise Inputs je Screen zu verringern. Usability hängt mit dem kognitiven Aufwand und dem Bedürfnis nach Kontrolle zusammen. Wenn eine Anwendung einfach und sicher werden soll, ist die gerätespezifische Optimierung wichtig. Auch hier entscheidet der Kontext, ob eine erhöhte Anzahl an Klicks zu Gunsten der Usability zielführend ist. Als Daumenregel gilt: Je limitierter das genutzte Endgerät ist, desto mehr Klicks bedarf der Prozess.

Kurz und knapp zusammengefasst

Durch das Hinzufügen einiger zusätzlicher Klicks, können wir die Sicherheit, Usability und Einfachheit von digitalen Produkten steigern. Lasst uns aufhören, Klicks zu zählen. Weder die Konversion noch die Zufriedenheit der Nutzer:innen hängen mit der Anzahl der Klicks zusammen.

Stattdessen sollten wir uns auf die Menschen konzentrieren. Wir sollten uns darauf konzentrieren, wie die Nutzer:innen mit der Anwendung interagieren. Auf diese Weise können wir Stress und Verwirrung reduzieren, was letztlich zu höheren Umsätzen und Kundenzufriedenheit führt.

Um das Ganze zusammenzufassen: 

  • Reduziert die Komplexität, um den kognitiven Aufwand gering zu halten.
  • Setzt Kontrollmechanismen ein, um das Gefühl von Sicherheit zu erzeugen.
  • Optimiert auf die Limitierung des Geräts hin, um die Usability zu verbessern.

Unsere Bewertungskriterien für die Produktentwicklung sollten sich nicht auf Klicks beschränken. Stattdessen ist es ratsam, Komplexität, Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit als Bewertungsmetriken zu nutzen, um die Anforderungen an die Produktentwicklung klarer zu definieren.

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